Klassische Langeweile dürfte vermutlich die Kategorie heißen, in die man dieses Rezept ziemlich wahrscheinlich einordnen müsste, wenn man ihm und seinesgleichen grundsätzlich wohlwollend und aufgeschlossen gegenüberstünde. Oder spießige Wohlstandsküche, falls man eher weniger zu differenzierter Betrachtung neigen sollte. Ich für meinen Teil kann beiden Begriffe durchaus etwas abgewinnen, muss aber natürlich sagen, dass ich klassische Langeweile durchaus ein wenig freundlicher finde. Und dass ich natürlich zum Spießertum dieselbe Einstellung wie jeder andere Mensch habe: Die Spießer sind selbstverständlich immer die anderen! Bleiben wir also bei klassischer Langeweile, die durchaus ihre guten Seiten hat: Die im Begriff des Klassischen unbedingt mitschwingende Sicherheit, hier etwas zu haben, das nicht mehr neu erfunden werden muss, weil es bereits so ausgereift ist, dass es gar nichts mehr neu zu erfinden gibt. Wie das vitruvsche Säulenmaß also. Und die Langeweile natürlich, die gar nicht immer so derart negativ konnotiert sein muss, wie das allenthalben gerne geschieht, sondern die hier eher als die Abwesenheit von Aufregung und Aufgeregtheit angesehen werden mag. Passt doch gar nicht schlecht zusammen. Oder auf’s Essen bezogen: Solches, das seinen festen Platz auf allen einigermaßen seriösen und nicht allzu ambitionierten Speisekarten hat, immer gewohnt hervorragend schmeckt, immer an derselben Stelle der Menüfolge kommt, und bei dem man noch nicht einmal lange zu überlegen braucht, was man dazu trinken soll, da auch die Antwort auf diese Frage schon vor längst gefunden wurde.
Zur Foie gras, diesem Inbegriff der klassischen französischen Küche, ist natürlich noch zu sagen, dass man sie nicht mögen muss. Weniger des Geschmacks wegen, sondern vielmehr aufgrund ihrer traditionellen, nicht unbedingt tierfreundlichen Herstellungsmethode. Aber die einschlägige Diskussion ersparen wir uns an dieser Stelle lieber mit dem Hinweis darauf, dass seit einigen Jahren Enten- und Gänseleber auch in ungestopfter Variante zu bekommen sind: Zuerst kamen mir welche aus Ungarn unter, wo angeblich die Gänse freiwillig so viel fressen würden, bis sie fette Lebern bekämen, und auch in Frankreich wird mittlerweile eine Menge Foie gras aus ungestopfter Leber produziert. Da letztere hier verwendet wurde, soll uns der Rest nicht weiter interessieren – viel wichtiger ist ohnehin die Konsistenz der verwendeten Ware: Da die Leber gebraten werden soll, um zusätzlich zu ihrer schweren Üppigkeit auch noch ein paar Röstaromen mitzunehmen, kommen nur aus dem ganzen Stück geschnittene Scheiben in Frage, die hierzulande leider nicht allzu einfach zu bekommen sind, oder aber zumindest dergestalt verfestigte Stücke, dass sie beim Braten nicht schmelzen. Genau das passiert nämlich, wenn man die bei uns verbreitete Mousse de foie gras mit Hitze in Kontakt bringt: Sie zerläuft. Und wird dadurch unbrauchbar für alles, was man eigentlich mit ihr vorhatte. Es lohnt sich also, genau hinzusehen und, wo man nicht Scheiben von der ganzen Foie gras haben kann, die selbstverständlich geschmacklich und konsistenziell immer zu bevorzugen sind, nur zu kaufen, was nicht als Mousse oder Paté angeboten wird, sondern idealerweise als Scheiben oder Tranches (was der gastrophile Kunde, der zwar kein Französisch spricht, dafür aber eine exzellente Aussprache hat, immer lieber lesen wird als ein profanes „Scheiben“). Und selbst dann muss man manchmal experimentieren.
Sollte man sich aus grundsätzlichem Interesse, aufgrund geschmacklicher Vorlieben oder gar aus Gründen gastgeberischer Ambition (was nur zu begrüßen wäre!) an die gebratene Foie gras heranwagen wollen, dann wird man an einem Rezept wie diesem, das vor allem durch seine herrlich ausbalancierte Harmonie und seine unaufgeregte Finesse bestechen wird, wahrscheinlich irgendwann kaum mehr vorbeikommen: Süßlich-würziger Brot oder Pain-d’épices, Preiselbeeren und süßen Früchten mit minimalen Schärfe- und Säurenoten. Also: gebratene Foie gras von der Ente mit Wildpreiselbeeren auf angeröstetem Schwarzbrot an karamellisiertem Apfel-Mango-Chutney.
Was man braucht (für 2 angemessene Portionen):
- ½ reife Mango, in Würfel geschnitten
- ½ Apfel, nicht zu süß, in Würfel geschnitten
- ½ Zwiebel, gehackt
- Butter
- 2 dicke Scheiben Schwarzbrot. Oder Pain d’épices, wenn man das bekommen kann oder ordentlich plant. Rinde entfernt und in ein auf die Leberscheiben abgestimmtes Format geschnitten.
- 4 Scheiben Gänse- oder Entenleber. Keine Mousse, sondern vom ganzen Stück geschnitten, oder zumindest so verfestigt, dass beim Braten kein Schmelzen zu befürchten ist. Gänseleber, wenn man es krachen lassen möchte, und Ente, wenn man eher zu Sparsamkeit neigt. Hier war es natürlich Ente! Und zwar ungestopfte.
- Wildpreiselbeermarmelade.
- Saft von ¼ Zitrone
- Fleur de Sel und Pfeffer aus der Mühle
- 1 Pimentkorn, im Mörser zerkleinert
- Ingwer, frisch abgerieben. Eher weniger als mehr.
- 1 EL Zucker
Das Rezept:
Butter in einem flachen Topf erhitzen und die Zwiebeln bei geschlossenem Deckel 5 Minuten andünsten. Dann Mango- und Apfelstücke zufügen, mit Salz, Pfeffer, Piment, Ingwer und Zitronensaft würzen, vorsichtig umrühren, abdecken und 20 Minuten auf eher kleiner Flamme garen.
In der Zwischenzeit die Brotscheiben in einer trocken erhitzten Eisenpfanne auf eher großer Flamme von jeder Seite etwa 5 Minuten anrösten. Herausnehmen, sehr wenig Butter zufügen und die Leberscheiben auf großer Flamme von jeder Seite 1 Minute braten. Nicht allzu stark abkühlen lassen, daher eher später als früher die Leberscheiben braten.
Sobald die Apfel-Mango-Mischung gar ist, vorsichtig auf Teller verteilen, mit dem Zucker bestreuen und mit dem Bunsenbrenner karamellisieren. Daneben die Schwarzbrotscheiben mit den gebratenen Leberscheiben und der Wildpreiselbeermarmelade obenauf setzen.
Der Rest des Menüs:
Natürlich sollte die kleine Entenleber hier nicht alleine stehen. Sie war der erste Gang eines nicht großartig angelegten, eher gemütlichen, voralpin winterlichen Menüs und wurde gefolgt von Ente à l’orange sous vide an Kürbis-Räucherspeck-Pürree, einer bescheidenen Käseauswahl (Valdeon, Stilton, ein ziemlich fauliger Calvados-Camembert und ein ziemlich toter Epoisses) und schließlich einer kleinen Sachertorte. Ebenso bescheiden war die Getränkeauswahl: Ein einfacher Madeira zur Vorspeise, zu der man natürlich auch süßen Elsässer Grauburgunder, eine seriöse deutsche Auslese oder ein Glas anständigen Tokajer hätte reichen können, falls sie zur Hand gewesen wären. Zum Hauptgang dann einen ziemlich fabelhaften, aber leider noch immer nicht reifen 2009er Chateau d’Arche aus dem Haut-Médoc, den ich in Unkenntnis seiner wahren Qualität (und seines exorbitanten Reifebedarfs!) ausschließlich aufgrund seiner herausragenden Bewertung im Guide Hachette gekauft hatte, und der meine Erwartungen durchaus übertreffen konnte – oder es in etwa zwei Jahren können wird. Zum Käse abermals den Madeira oder (speziell für die Blauschimmelvarianten) wahlweise einen einfachen, 10-jährigen Tawny Port von Rozès, und zur Sachertorte schließlich ein Glas Klosterlikör aus dem Stift Reichersberg in Oberösterreich. Klassische Langeweile ist doch prächtig!