Gleich vorneweg: Diese Liste erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sie sucht sie sogar ausdrücklich zu vermeiden. Ihr Reiz soll darin bestehen, das wegzulassen, das man ohnehin nicht mehr hören kann: All die vermeintlichen Weihnachtshits, die, alle zehn Minuten in allen beliebten Radiosendern wiederholt und doch einem vermuteten Großteil ihrer erzwungenen Hörerschaft zutiefst verhasst, längst viel deutlicher durch und durch zu Kaufhausmusik geworden sind, als allein für den Fahrstuhl komponierte Musik jemals durch und durch Fahrstuhlmusik sein könnte. Andererseits: Das Reine, Schöne, Wahre und Gute kann man ja auch nicht wirklich als Maßstab heranziehen, wenn es darum geht, eine kleine Musikauswahl für Weihnachten zusammenzustellen. Oder, um es mit Algy Moncrieff zu sagen: Of course the music is a great difficulty. Und so bleibt nur eine Regel übrig, die hier in all ihrer nicht nur bewusst in Kauf genommenen Subjektivität, sondern auch in all ihrem unschuldigst und doch zutiefst empfundenen Kultursnobismus nur einem Prinzip unterworfen ist: Es ist die Weihnachtsmusik, die mir gefällt. Eine bessere und schönere gibt es nicht!
Man kann diese kleine Musikliste nun auf zwei verschiedene Weisen sortieren. Die einfachere von beiden wäre die synchrone: Man fängt beim ältesten Stück und hört beim neuesten auf – das wäre zwar einfach, müsste aber unweigerlich dazu führen, dass Bach immer ganz zu Beginn kommt. Und das ist ja nicht in jedem Fall geeignet. Die zweite Möglichkeit wäre, die Musik nach Festlichkeit zu sortieren. Aber ganz ehrlich: auch hier wäre, zumindest bei absteigender Sortierung, der Bach wieder ganz oben. Und schließlich wäre die Festlichkeit innerhalb des schon beschriebenen, doch sehr subjektiven Auswahlkriteriums nochmal eine Steigerung der Nichtnachweisbarkeit. Statt das Unzureichende aber durch das vollkommen Unfassbare zu ersetzen, bleiben wir doch lieber beim Unzureichenden und beginnen, fein geordnet nach chronologischen Daten, folgendermaßen:
Johann Sebastian Bach: Weihnachtsoratorium BWV 248
Das WO, wie es von manchen Liebhabern genannt wird (die es vermutlich nur deshalb so bezeichnen, weil sie immer dann, wenn sie es zu schon vorgerückter Stunde voller Überschwang ertönen lassen, nicht in die Verlegenheit kommen wollen, es /wein:’ʂorum/ oder ähnlich zungenschwer aussprechen zu müssen) ist der große Klassiker und garantiert feierlichste Festlichkeit, die umso sakraler hervortritt, je mehr man sich in Richtung Originalklang bewegt. In meiner Aufnahme ist es das Amsterdam Baroque Orchestra und sein Chor unter der Leitung von Ton Koopman. Von beiden gibt es eine Fülle absolut erstklassiger Bach-Aufnahmen – gleichwohl wird man sicher auch mit dem Concentus Musicus unter Nikolaus Harnoncourt nichts falsch machen, und mit der vielgerühmten Gardiner-Aufnahme ohnehin nicht.
Leopold Mozart: Eine musikalische Schlittenfahrt
Vater Leopold steht nun schon wie lange im Schatten seines Sohnes? Bei der musikalischen Schlittenfahrt hat er es definitiv nicht verdient. Meist hört man, wenn überhaupt, nur das Allegretto dieser kleinen, winterlichen Schlittenfahrtsimulation, die so etwas wie das Jingle Bells des 18. Jahrhunderts ist, aber auch der Rest ist wirklich nett und vor allem so plastisch in Töne gesetzt, dass man sich etwa unter Die Verwirrung in den Ställen, Das Schütteln der Pferde, Das vor Kälte zitternde Frauenzimmer und Der Kehraus sehr lebhaft passende Szenen vorstellen kann. Meine Aufnahme stammt vom Kammerorchester Berlin unter Helmut Koch und ist ziemlich gut – allzu viele Aufnahmen gibt es leider nicht davon.
Peter Tschaikowsky: Symphonie No. 1 g-moll op. 13 Winterträume
Tschaikowskys Erste steht hier zugegeben vor allem wegen Ihres Beinamens, der, was tatsächlich gar nicht oft der Fall ist, vom Komponisten selbst stammt. Wie ein Großteil der symphonischen Musik Tschaikowskys scheint mir dieses Werk aber geradezu ideal, um das langsame Hereinbrechen bläulicher Dämmerung über einer weiten Schneelandschaft musikalisch zu untermalen. Meine durch und durch romantische Aufnahme stammt aus einem Set mit allen sechs Symphonien von der Academy of St Martin in the Fields unter Sir Neville Marriner – wenn es nochmal ein Set sein sollte, würde ich mich heute aber vermutlich für die Aufnahme des Philadelphia Orchestra unter Riccardo Muti entscheiden.
Engelbert Humperdinck: Hänsel und Gretel
Humperndincks herrliche, nicht von ungefähr manchmal sehr wagnerianisch klingende Musik schafft ein erstaunliches Meisterstück: Sie verwandelt das eigentlich recht grausame Märchen von Hänsel und Gretel in ein ziemlich festliches Weihnachtsstück, bei dem man keinen Augenblick am unvermeidlichen und auch sehnlichst erhofften Happy End zweifeln möchte. Besonderen Spaß kann man daran haben, wenn man eine so exzellente, glasklar gesungene und bei jedem Wort einwandfrei verständliche Aufnahme wie die meine hat: Kurt Eichhorn mit dem Müncher Rundfunkorchester und dem Tölzer Knabenchor sowie einer absolut erstklassigen Besetzung mit Anna Moffo, Helen Donath, Christa Ludwig und Dietrich Fischer-Dieskau.
Arthur Fiedler & Boston Pops Orchestra: Pops Christmas Party
Dieser CD bin ich fast zwei Jahre hinterhergejagt, bis sie endlich zu bekommen war – sie ist es wert! Denn Arthur Fiedler, den man immer gerne mit eher leichter Musik asoziiert – tatsächlich haben er und das Boston Pops Orchestra, dem er über 30 Jahre vorstand, mehr Aufnahmen von allen möglichen Sachen gemacht als jedes andere Orchester und jeder andere Dirigent – dirigiert hier auf eine heitere, unbeschwerte Art und Weise die wunderbarste Weihnachtsmusik, die man sich vorstellen kann, wenn man nicht gerade auf das Originalklang-WO fixiert ist: Tschaikowskys Nussknacker mit ein wenig mehr Speed, Andersons Sleig Ride, sein eigenes A Christmas Festival-Medley und sogar Rudolph the Red-Nosed-Reindeer. Grandios.
The Rat Pack: Christmas with The Rat Pack
Nur zwei kleine Punkte gibt es, die man an diesem Album bemängeln könnte – allerdings von einer zugebenermaßen sehr hohen Warte aus. Erstens: Es handelt sich hier kaum um Live-Aufnahmen. Wer Frank Sinatra live at The Sands oder The Dean Martin Show kennt, weiß, was ich meine. Aber ganz ehrlich: Auch die hier überwiegend vorhandenen Studioaufnahmen sind großartig. Und zweitens: Santa Claus is comin‘ to Town ist nicht drauf. Womöglich, weil Bing Crosbys Version die deutlich bekanntere ist. So oder so: Wenn man den ganzen Klassikkram nicht mehr hören kann, ihn zu feierlich findet oder Gäste hat, die weltanschauliche Vorbehalte haben, ist das die Musik, die man spielen sollte: Eine feine Balance aus Speed und ruhigeren Abschnitten, immer mit viel Spaß (speziell bei Dinos Songs) und doch ausreichend Winterlichkeit und Weihnachtlichkeit, um es nicht einfach als noch so eine Rat-Pack-CD abtun zu können.
p.s. alle Einträge in dieser Liste sind sinnigerweise direkt dorthin verlinkt, wo ich die CDs gekauft habe. Denn warum soll man es schwer haben, wenn es auch einfach geht?