Ziemlich lange Zeit gehörte die Carbonara zu jenen Pastagerichten, die ich eigentlich lieber nicht essen wollte. Und das liegt nicht nur daran, dass ich eine besondere Schwäche für schwere, scharfe Tomatensaucen habe. Nein, der Grund war vor allem, dass alles, was ich als Carbonara kannte, das es immer wieder bei Einladungen als leichten Pastagang gab, und das auch in dieser Form immer wieder auf Speisekarten auftauchte, wenn man sich nicht für ein interessanteres Restaurant entscheiden konnte, eigentlich gar keine Carbonara war, sondern eine ziemlich weichgespülte, kindertauglich gemachte Hausfrauenfantasie, völlig befreit von allen geschmacklich auch nur irgendwie vorhandenen Eigenschaften, und so wenig Eindruck hinterlassend, als hätte man überhaupt nichts gegessen. Sahne warm mit Kochschinkenwürfeln verrührt und über lasche Nudeln gekippt – wenn man da noch einen Hauch Pfeffer in der Sauce fand, konnte man froh sein. Und der Hinweis, ob es sich denn dabei nicht um ein herrlich leichtes Rezept handele, das man doch am besten täglich essen könne, machte es natürlich auch nicht besser. Immerhin: es dürfte das ideale Essen für alle Arten von Kindergeburtstag sein. Aber: Mit einer echten Carbonara hat das eigentlich gar nichts zu tun. Denn die Carbonara ist natürlich, wie der Name schon vermuten lässt, ein Essen für Köhler, die den ganzen Tag Kohlenmeiler aufgeschichtet und abgefackelt haben, wenig an der fertigen Kohle verdienen, und abends dann ein sehr kräftiges Essen benötigen. Mit Sahne und Schinkenwürfeln bräuchte man denen also nicht zu kommen. Mit Speck dagegen schon eher. Und tatsächlich steht und fällt die Qualität der Carbonara mit dem Speck. Ob es in diesem Zusammenhang ein Zufall ist, dass sie mit leicht geräuchertem und kaum gesalzenem Speck am besten gelingt?
Speck: ein Exkurs.
Tatsächlich wird die Carbonara mit fettem Bauchspeck gemacht. Genauer: Mit in Würfel geschnittenem und angebratenem Bauchspeck. Der hat gegenüber mageren Schinkenwürfeln den ganz erheblichen Vorteil, dass er genug Fett mitbringt, um ihn wunderbar knusprig anbraten und dabei herrliche Röstnoten erzielen zu können. Auf der anderen Seite hat er gegenüber mageren Schinkenwürfeln allerdings den Nachteil, dass er ziemlich fett ist. Was kann man da also machen? Zunächst ist natürlich Speck nicht gleich Speck. Es gibt ihn in ganz vielfältigen Variationen, die von kleinen, billigen, unregelmäßigen Würfeln, an denen oft noch eine Menge Schwarte hängt, über die regelmäßigen, rosa glänzenden Baconwürfel aus Dänemark, bis hin zu den breiten, fast schieren (also nur aus reinem, weißen Fett bestehenden) Speckstreifen reichen, die man noch selbst würfeln muss, und die schon beim Anfassen genug Fett abgeben, um damit auch mühelos die Schuhe auf Hochglanz bringen zu können. Ihnen allen ist in der Regel gemein, dass sie entweder ziemlich heftig geräuchert sind oder zu Konservierungszwecken mit Nitritpökelsalz eingerieben wurden. Und da ich mittelmäßigem Raucharoma so wenig abgewinnen kann wie angeschmorter Schwarte, mir andererseits aber auch das Nitritpökelsalz nicht unbedingt allzu oft zumuten möchte, gibt es nur eine Möglichkeit: Man braucht ungepökelten Speck, der einem langsamen, nicht irgendwie künstlichem Räucherprozess unterzogen wurde. Speck, der daher vielleicht nicht so besonders lange haltbar ist, dafür aber eine feine Rauchnote und echten Fleischgeschmack hat. Speck, der vielleicht auch noch mit anderen Gewürzen behandelt wurde. Speck, der ein einigermaßen ausgewogenes Verhältnis zwischen Fleisch und Fett aufweist. Speck, an dem keine bräunlichen Schwartenfetzen hängen. Speck, der weder feucht und rosa glänzt, als wäre er frisch lackiert worden, noch Speck, der grau ist wie sowjetische Fruchtbonbons. Und Speck schließlich, der wahrscheinlich ein weng mehr kostet. Als Faustregel darf gelten: Wenn der Speck roh so gut aussieht und riecht, dass man ihn am liebsten sofort essen würde, dann ist er gut genug, um ihn zu braten oder für eine Carbonara zu verwenden.
Wo bekommt man solchen Speck? Wie immer gilt in Fällen, in denen man nicht direkt beim Erzeuger kaufen und diesem auch wirklich trauen kann (bei Obst und Gemüse ist es ja nicht anders), und keinen Metzger hat, der genau solchen Speck selbst herstellt: Im Bioladen stehen die Chancen am höchsten, das zu bekommen, was man sich vorstellt. Und das Vorhanden- bzw. Nichtvorhandensein von Nitritpökelsalz lässt sich mit einem Blick auf die Zutatenliste ja in der Regel schnell feststellen. Hat man solchen Speck gefunden, dann lässt sich damit wirklich die herrlichste Carbonara machen, die sich denken lässt. Wenn nötig, sogar jeden Tag.
Was man braucht (für 1 Portion):
- eine Handvoll anständigen Speck (wie oben beschrieben). Etwa 80 bis 100 g.
- 1 Ei
- 1 Knoblauchzehe. Wenn man Carbonara für mehrere Portionen macht, muss man den Knoblauch nicht gleich vervielfachen.
- frisch geriebenen Hartkäse. Eine 50/50-Mischung von Parmesan und Pecorino wäre der Klassiker, man kann aber auch Grana Padano mit hinzunehmen oder nur eine Sorte Käse verwenden. Hier lässt sich experimentieren. Mindestens 50 g sind sinnvoll.
- ein paar Tropfen Olivenöl
- grob gemahlener Pfeffer
- Nudeln. Ich bin kein großer Freund von Spaghetti, und das nicht erst, seit es mir einmal gelang, mich auf der Terrasse des Caffè degli Specchi in Triest mit einer Portion Spaghetti mit Scampi in Tomatensauce komplett einzuölen. Und das, obwohl man mir vorher eine Art Schürze umgebunden hatte. Glücklicherweise gab es da an diesem Tag aber noch andere Sehenswürdigkeiten. Tortiglioni von Voiello sind mein grundsätzlicher Pastafavorit – man bekommt sie in der Regel in italienischen Supermärkten (die immer einen Besuch wert sind!)
Das Rezept:
Öl in eine Pfanne träufeln und erhitzen. Speck und Knoblauchzehe hinzugeben und bei mittlerer Hitze etwa 10 bis 15 Minuten braten – die Speckwürfel sollten gebräunt und das Fett ein wenig herausgebraten sein, aber wenn sie zu knusprig werden, verlieren sie schon ein paar ihrer interessanteren Geschmacksnuancen. In der Zwischenzeit die Nudeln kochen. Sobald die Nudeln fertig sind, diese abgießen, zurück in den Topf geben und die Speckwürfel samt Bratfett (aber ohne Knoblauch) dazu geben. Ei aufschlagen, ein wenig verquirlen, über die heißen Nudeln geben, schnell den Käse über die Nudeln reiben, Pfeffer darüber mahlen und so lange verrühren, bis sich Ei und geschmolzener Käse zu einer kleisterartigen Masse vereinigt haben, die Nudeln und Speck gleichmäßig überzieht und verbindet. Auf den Teller geben, nochmal Käse drauf, fertig.
Zusätzliches:
Bei mir gibt es grundsätzlich helles Bier zur Carbonara. Nicht nur, weil die Kohlensäure besser zum Bauchspeck passt als alle Arten von Wein, sondern auch, weil ich mir vorstelle, dass für den Köhler nach getanem Tagwerk eine Flasche Bier deutlich erfrischender sein dürfte als alles andere. Und es ist ja auch ein ziemlich rustikales Essen. Daneben ist Pasta Carbonara aber auch ein ziemlich einfach, mühelos und schnell zuzubereitendes Rezept: Wenn man mit Gas oder Induktion kocht (was man sollte), wird man vom Anheizen bis zum Servieren nur wenig mehr als 15 Minuten brauchen. Und spätestens nach dem dritten Mal kann man es auswendig. Es ist damit ideal, wenn man spät nach Hause kommt, kurzfristig Hunger hat, sich nicht wirklich aufs Kochen konzentrieren kann oder möchte und Essen aus Dose oder Tüte (oder gar vom Schachtelwirt) lieber meidet. Und schließlich und vor allem: wenn man den ganzen Tag Kohle produziert hat.
p.s. Ob das mit den Köhlern nun stimmt oder nicht, darüber gehen die Meinungen ein wenig auseinander. Ma se non è vero, è ben trovato….