Dieses Rezept ist eine Art Hybride: Seine Wurzeln entstammen zwei ziemlich unterschiedlichen Küchentraditionen, die, vom Meer und den Muscheln einmal abgesehen, nicht wirklich viel miteinander zu tun haben. Dem Mittelmeer auf der einen Seite, dem hier der Weißweinsud samt Knoblauch entlehnt sei, und der Küste Flanderns, Seelands und Hollands auf der anderen Seite, denen hier vor allem eine durchaus kräftige, dezent süße Würze zu verdanken ist – und natürlich Beilage, Bier und eine hervorragende Eignung für Herbsttage im Temperaturbereich von nicht mehr warm bis ziemlich kalt und feucht. Und das beste daran: Hat man frische Muscheln gefangen, steht das Essen (und zwar egal, ob man nur für sich selbst oder für fünf Gäste kocht) in etwa einer halben Stunden auf dem Tisch.
Wie bei allen kleinen Tieren, die in etwas unüblicher Form – also nicht zu Brustfilets, fertig marinierten oder panierten Chicken Wings oder Hähnchenkeulen-Mehrfachpackungen (wie viele Beine hat ein Huhn? Genau.) verarbeitet – in den Handel und dann sogar mehr oder weniger ebenso auf den Tisch kommen, haben übrigens gar nicht wenige Leute durchaus Hemmungen, Muscheln zu essen, und noch mehr natürlich, sie selbst zuzubereiten. An der Spitze dieser Hemmungen dürfte stehen, dass hier tatsächlich lebende Ware verarbeitet wird – man überlässt das Töten also nicht einem anonymen Metzger oder Fischer, sondern muss selbst tätig werden. Und ich gebe zu: Das mag, wenn man unbedarft und von einem gewissen Unschuldsbedürfnis geleitet darüber nachdenkt, durchaus seinen Schrecken haben. Aber andererseits: So ist das eben in der Nahrungskette. Und nur, weil man Tiere in zerlegter Form kauft, trägt man ja nicht weniger Verantwortung für ihr Ableben. Ganz im Gegenteil: Je kleinere Teile man kauft, und in je unnatürlicherer Form sie dargeboten werden, desto schlimmer wird die Sache, da man ja nie wissen kann, was mit dem Rest passiert. Und von den Mehrfachpackungen hatten wir es ja schon. Dieser Punkt geht also an die Muscheln.
Und dann sind die Muscheln ja auch noch so glitschig, unansehnlich, weich, stecken ihr ganzes Leben im Schlamm herum und filtern Schmutz aus dem Wasser. Nun ja, was soll man sagen: Es sind eben Weichtiere. Und ja, sie ernähren sich von dem, was so im Wasser herumschwebt. Angst braucht aber deshalb nicht vor ihnen zu haben. Denn wohl fühlen sie sich vor allem dort, wo es ohnehin sehr sauber ist. So lange sie frisch sind, kann man sie also bedenkenlos essen. Und ich würde sogar sagen: Man sollte sie lieber selbst zubereiten, als sie im Restaurant zu essen. Denn letztlich hat man auch nur so die Kontrolle darüber, wie frisch die Muscheln wirklich sind. Und frisch bedeutet hier tatsächlich: Lebend, nicht tiefgekühlt. Und es bedeutet: Nicht älter als zwei Tage. Üblicherweise ist das Fangdatum auf der Packung vermerkt, so dass man nur ein wenig zählen muss. Und so besonders schwer sind frische Muscheln auch nicht zu finden: Sogar bei den einschlägigen Discountern bekommt man sie von September bis Februar in durchaus anständiger Qualität und für sehr kleines Geld, wobei sie ab Mitte Dezember meist ein wenig groß werden und eher streng schmecken – das wären dann sozusagen die alten Hammel unter den Muscheln. Lässt man sich einmal darauf ein, sie selbst zu machen, kann man den ganzen Herbst hindurch regelmäßig ein fabelhaftes Essen in vielfältiger Variation auf den Tisch bringen. Mein Favorit: Moules-frites – Muscheln in Weißwein mit Pommes Frites und flandrischem Bier.
Was man braucht (für 2 Portionen):
- 1 kg frische Miesmuscheln.
- ½ Liter trockener Weißwein. Die Rebsorte ist eigentlich egal, solange es nicht gerade Muskateller oder sonstiges Parfüm ist.
- 1 große oder 2 kleine Zwiebeln, in Ringe geschnitten
- 1 kleine Möhre, in kleine Stücke geschnitten
- 2 Knoblauchzehen, in kleine Stücke geschnitten
- 1 Lorbeerblatt, fein zerbröselt
- eine Prise Cayennepfeffer
- Fleur de Sel und Pfeffer aus der Mühle
- Butter
- Olivenöl
Das Rezept:
Die Muscheln unter fließendem, kaltem Wasser putzen, die Bärte, wo noch vorhanden, entfernen und abtropfen lassen. In der Zwischenzeit Butter und Öl in einem großen Topf erhitzen und das Gemüse 5 Minuten bei ca. 1/3 Hitze andünsten. Lorbeerblatt, Cayennepfeffer, Salz und Pfeffer zugeben, wieder abdecken und nochmals 5 Minuten dünsten. Den Wein zugießen und aufkochen. Schnell, aber vorsichtig die Muscheln zugeben, nochmals aufkochen und dann nicht länger als 12 Minuten auf kleiner Flamme köcheln. Als Minimum würde ich 10 Minuten ansehen – oberhalb von 15 Minuten werden die Muscheln dagegen zäh.
Was es dazu gab:
Die Muscheln sind ja bei Moules-frites nur die eine Hälfte. Die andere besteht selbstverständlich aus Pommes Frites, die man selbst herstellen kann, wenn man viel Zeit hat. In allen anderen Fällen tut es tiefgekühlter Wellenschnitt durchaus. Und da man damit den wirklich fabelhaften Weißweinsud mehr schlecht als recht aufsaugen kann, lohnen sich ein paar getoastete Scheiben Baguette.
Getrunken:
Holland, Zeeland und Flandern sind als Weinbaugebiete ja nun eher weniger bekannt. Bier bekommt man dort allerdings in den erstaunlichsten Varianten: Meistens obergärig, oft mit nicht geringem Weizenanteil, und in der Regel mit einem durchaus leicht erhöhten Maß an Stammwürze und Alkohol. Die bekanntesten, die man hierzulande bekommen dürfte, sind natürlich die Trappistenbiere aus Chimay, das Orval, das helle und das dunkle Leffe, und die nicht ganz billigen Erzeugnisse von Braufactum, die man wohl schon der recht neumodischen Kategiere des Craft Beer zurechnen kann. Und die sind alle wirklich gut. Mein persönlicher Favorit jedoch ist aufgrund seiner ausgeprägten, kräftigen Würze das helle 3 Monts der Brasserie de Saint-Sylvestre aus Französisch-Flandern: Mit 8,5 Umdrehungen ziemlich stark, aber kaum durch die für flandrischen Biere oft so typische, leichten Süße von Weizen und Hefe geprägt – stattdessen verhältnismäßig herb und voll. Wem das helle Leffe zu leicht und fein und das dunkle Chimay zu süß ist, der dürfte hier genau richtig liegen. Und damit wir uns nicht falsch verstehen: Das ist natürlich kein Craft Beer (welch dämlicher Begriff!), sondern einfach Bier, wie es in Flandern schon immer gebraut wird….
Pingback: Heiße Austern à la Crème. | THE AVERAGE MAN