Dieser Kalbsbraten ist meine Variante eines echten Großmutterrezepts. Und das ist ganz wörtlich gemeint, denn ich bekomme es von seiner Urheberin normalerweise immer dann serviert, wenn ich als Anforderung an das Essen, mit dem sie mich überreichlich bescheren möchte, einzig stelle, es möchte diesmal nicht allzu schwer und nicht allzu viel sein, und um Himmels Willen weder Schweinsbraten noch Ente noch Gans noch Sauerbraten noch was weiß ich. Doch wohlverstanden: Letzteres ist durchaus voller Anerkennung und Dankbarkeit geschrieben und auch von Herzen so gemeint. Nur (und gerade nach Weihnachten wissen wir das alle nur zu gut): Manchmal geht es einfach nicht mehr. Dazu kommt in meinem Fall dann noch: Zu schwer und zu viel sind Begrifflichkeiten, in die man durchaus eine ganze Menge hineininterpretieren kann, und die noch dazu vielfältigen Variablen unterliegen – der verwendeten Menge Butterschmalz etwa, der Füllkapazität der zu verwendenden Saucière, Art, Form und Speckgehalt der Knödel, und noch eine ganze Menge mehr. Aber darum soll es hier nicht gehen – nein, wir halten diesen kleinen Kalbsbraten aus dem Vakuum so sauber und fein, wie es nur geht. Und verraten der Großmutter natürlich nichts. Sie wird’s schon herausfinden….
Tatsächlich ist dieses Rezept nach einer Reihe eher üppig angelegter Weihnachtsabendessen mehr oder weniger aus der Not entstanden, noch einmal eine Art Festtagsbraten bieten zu müssen, gleichzeitig aber das ganze schwere Zeug schon nicht mehr sehen zu können. Das Kalb war zufällig vorhanden, und so brauchte sich die Variation des großmütterlichen Rezepts einfach nur in eine ganz bestimmte Richtung zu bewegen: jene der Vereinfachung und der deutlich weniger gewichtigen Umsetzung – Kalbsbraten superleggera gleichsam. Die Knödel wurden also weggelassen. Und ebenso wurde das Butterschmalz weggelassen. Auf das langsame Schmoren habe ich ebenfalls verzichtet – vor allem, weil man damit bei Kalbsbraten durchaus Pech haben und eine ziemlich zähe Masse produzieren kann, wenn man kein ganz hervorragendes Bratenstück hat. Und dann natürlich, weil ich wieder ein wenig mit dem Garen sous vide experimentieren wollte. Immer noch ohne echte Ausrüstung, dafür in einem Wasserbad im Backofen. Einzige Komplikation: Wo nicht geschmort wird, gibt es auch keine Sauce – diese musste also separat und auf Mirepoix-Basis entstehen. Hat alles wunderbar geklappt – es ist das perfekte Bratenrezept, wenn man eigentlich keinen Braten mag, keinen mehr sehen kann oder gerne nicht so schwer isst.
Was man braucht:
- 1 Stück Kalbsbraten. Ich hatte ein aus der Keule geschnittenes und nicht ordentlich pariertes Pfund, das in seiner Konsistenz insgesamt ein wenig enttäuschend war – hatte leider den falschen Metzger erwischt, der es wohl mit der Schnittrichtung nicht ganz so genau nahm. Ganz wunderbar würde dieses Rezept natürlich auch mit Filet gehen, dann aber unweigerlich ein wenig seines eigentlich eher bodenständigen Charakters verlieren. Was nicht per se schlecht sein muss.
- Butter und Olivenöl
- Fleur de Sel
- Pfeffer aus der Mühle
- 1 Zwiebel, gehackt
- 1 Möhre, gehackt
- 1 Selleriestange, gehackt
- 50 g gewürfelter Speck. Nicht geräuchert.
- 100 bis 150 ml Weißwein
- 100 ml Rinderbrühe oder Kalbsfond. Fond, kein Jus!
- 200 ml Sahne
- Cayennepfeffer
- Muskatnuss aus der Mühle
- Estragon, gehackt
- Petersilie, gehackt
- Pilze. Da es hier weniger um ihre materielle Form, sondern eher um eine feine Pilznote geht, kann man durchaus teurere Pilze nehmen und bei diesen dann zur preiswertesten Variante greifen: dem Bruch. Hier war es Steinpilzbruch, ein feines Pülverchen, das nur einen Bruchteil dessen kostet, was für ganze Steinpilze aufgerufen wird, dafür aber dank der tausendfach vergrößerten Oberfläche (in etwa vergleichbar mit dem Verhältnis zwischen Mehlexplosion und dem Versuch, eine ganze Semmel anzuzünden) einen ungleich intensiveren Geschmack ergibt. Morchelbruch würde es natürlich auch tun.
Das Rezept:
Sous-vide-Maschine oder gleichwertig improvisierten Ersatz vorbereiten. Die anzupeilende Kerntemperatur sollte 60 °C nicht übersteigen.
Das Fleisch sauber parieren. Abgeschnittene Reste beiseite stellen. Butter und Olivenöl in einem Bräter erhitzen und das Fleisch kurz von allen Seiten sehr scharf anbraten. Herausnehmen, mit Salz und Pfeffer würzen, vakuumieren und ins Wasserbad geben, wo es für mindestens eine Stunde bleiben soll – die richtige Dauer hängt vor allem von der Dicke des Bratenstücks ab.
Speck, Gemüse und vom Fleisch abgeschnittene Stücke in den Bräter geben und etwa 10 Minuten anbraten. Mit Weißwein (und ggf. mit Fond oder Brühe) ablöschen, aufkochen, abdecken und ca. 30 Minuten köcheln. Den Deckel abnehmen, durch ein Sieb gießen, wieder erhitzen und die Sahne einrühren. Mit Muskat, Estragon und Cayennepfeffer würzen und den Steinpilzbruch einrühren. Reduzieren, bis die gewünschte Konsistenz erreicht ist. Vorsicht beim Cayennepfeffer: Man nimmt leicht zu viel davon, was dem Charakter dieses Gerichts nicht unbedingt entspricht. Und man kann die Sauce intensivieren, wenn man mehrmals ablöscht, braucht dann aber natürlich mehr Zeit.
Das Fleisch aus dem Wasserbad nehmen, zusammen mit der Beilage auf vorgeheizten Tellern anrichten, mit der Sauce begießen und sofort servieren. Die restliche Sauce heiß am Tisch vorhalten. Moment mal, welche Beilage? Die haben wir hier in der Tat übersprungen, denn ich hatte zu meinem Kalbsbraten in Steinpilzrahm geschmorten Rosenkohl – und der ist schon an anderer Stelle beschrieben. Passt ganz hervorragend!
Die klassische Variante ohne sous vide:
Das Fleisch nach dem Anbraten aus dem Bräter nehmen, Speck und Gemüse ordentlich anbraten, Fleisch wieder in den Bräter geben, mit dem Wein ablöschen, abdecken und bei niedriger Hitze schmoren. Nach etwa 40 Minuten das Fleisch herausnehmen, warm stellen und mit der Sauce weitermachen, wie es oben beschrieben ist.
Der Wein dazu:
Kalb, Sahne und Pilze lassen eigentlich nicht allzu viele Möglichkeiten offen: Eine einigermaßen volle Frucht sollte vorhanden sein, ein wenig Holz für ausreichendes Gewicht wäre wünschenswert, und dominante Säure wird eigentlich nicht großartig gebraucht. Also wieder ein Fall für weißen Burgunder aus dem Holz – hier war es allerdings keiner aus dem Burgund, sondern ein 2013er Chardonnay Erste Lage aus dem Berghauptener Schützenberg vom Weingut Freiherr von und zu Franckenstein in Baden. Herrliche Chardonnayfrucht und gerade so viel Holz, dass man es merkt, ohne zu viel davon zu bekommen. Und was ich mir ebenfalls gut hätte vorstellen können: Pfälzer Riesling aus dem Holz. Was? Natürlich gibt es sowas!