Mit den Austern ist es ja in gewisser Hinsicht wie mit den Miesmuscheln: In entblößter Form sind sie nicht wirklich ansehnlich, sie werden lebend gekauft und verarbeitet, und es gibt eine wirklich erstaunliche Zahl an Menschen, die ihrem feinen, herrlich maritimen Geschmack nun wirklich gar nichts abgewinnen können. Und das dürfte, da bin ich mir ziemlich sicher, natürlich in erster Linie daran liegen, dass man die Auster in der Regel roh und lebend isst. Ganz einfach: Schale ab, ausgelöst und gegessen. Und am besten natürlich ohne Zitrone und solchen Schnickschnack, denn das verfälscht den feinen Geschmack nicht unerheblich. Und als Test, ob die Auster noch lebt, ist die Zitrone natürlich auch nicht sinnvoll. Natürlich lebt sie noch. Wenn nicht, dann merkt man das schon.
Wenn man nun aber wirklicher Austernliebhaber ist und entweder keinesfalls auf sie verzichten kann oder bei größeren Abendessen aus menükonzeptionellen Gründen einfach nicht an der Auster vorbeikommt, sich andererseits aber auch nicht den Zorn der Uneingeweihten zuziehen möchte (denn ach: wie viele Gäste haben vergessen, dass es bei Einladungen zum Abendessen nicht darum geht, was sie selbst gerne essen, sondern dass sie gefälligst zu essen haben, was der Gastgeber sich mit viel Mühe für sie ausgedacht und auch bezahlt hat – und sei es nur aus Dankbarkeit für die Einladung!), dann muss man nicht immer an dieser einfachsten, aber feinsten Darreichungsform festhalten. Auch in warmer Form lassen sich die Austern ganz hervorragend zubereiten, wenn man ein paar Dinge beachtet. Dazu gehört unbedingt: Nicht die besten und teuersten dafür verschwenden. Keine Bélon und keine Gillardeau. Allenfalls alles, was von der pazifischen Felsenauster abstammt: Belgische und holländische sind das meist, französische Cancale, und überhaupt alles, was oft unter der Standardqualität Fines de Claire als Premium vermarktet wird, ohne es wirklich zu sein. Und selbst bei Marenne-Oléron würde ich mich mit warmer Zubereitung zurückhalten, denn dafür sind sie einfach zu fein. Dann lieber noch Sylter Royal. Ansonsten gilt: Austern nicht mit Taschenmesser oder Schraubenzieher öffnen. Das geht grundsätzlich schief, und Blut ist nicht die beste Sauce. Spezielle Austernmesser sind daher durchaus ihr Geld wert. Und nicht gleich das ganze Wasser verwenden, das direkt nach dem Öffnen in der Schale ist – mehr als Salz ist da nämlich drin. Stellt man dann die Auster aber nochmal eine Viertelstunde kalt, entwickeln sich die herrlichsten Geschmacksnoten. In der Auster. Und im Austernwasser.
Mein Lieblingsrezept sind übrigens heiße Austern in Beurre blanc – da das aber nicht von mir ist, musste ich mir etwas anderes ausdenken. Als Komplikation kam hinzu: Wenige Zutaten, nicht meine eigene Küche, und nur beschränkter Zugriff auf zuverlässigen Wein. Aufgewogen auf der anderen Seite aber durch die herrlichsten frischen Austern, die sich an der belgischen Nordseeküste auftreiben ließen. Geworden sind daraus heiße Austern à la Crème: Voll und durchaus üppig genug, um mit der Quiche mit Birnen und Bleu d’Auvergne, die danach und mit demselben Wein serviert wurde, mithalten zu können, aber andererseits doch fein und mineralisch genug, um immer daran zu erinnern, was man da gerade isst.
Was man braucht (für 2 Portionen):
- 1 Dutzend Austern. Nichts besonderes, da ja ohnehin Sahne und Worcestersauce im Vordergrund stehen. Also Finger weg von Bélon, Gillardeau und Marennes-Oléron.
- 200-300 ml Sahne
- 1 kg grobes Meersalz. Hier war es, da nichts anderes greifbar war, Sel gris aus Guérande.
- 1 Bund Petersilie, gehackt
- Worcestersauce – vorsichtig verwenden!
- ein wenig fein gemahlenen weißen Pfeffer
Das Rezept:
Die Austern auslösen, die Flüssigkeit abgießen und die Austern in einer gekühlten Schale beiseite stellen. Grobes Meersalz in eine Auflaufform füllen und die unteren Austernschalen darin platzieren. In den Ofen stellen. Die Sahne in einen Topf gießen und langsam erwärmen, bis sie kurz aufkocht – dabei fortwährend rühren. Die mittlerweile aus den Austern ausgetretene Flüssigkeit zusammen mit der Petersilie und der Worcestersauce zur Sahne geben, diese langsam reduzieren und mit dem Pfeffer abschmecken. Sobald die Sahne ausreichend reduziert ist, die Form mit den Schalen aus dem Ofen nehmen, die Austern wieder auf die Schalen verteilen und jeweils einen Löffel Sahnesauce über die Austern geben. Wieder in den Ofen stellen und 10 Minuten backen. Herausnehmen und auf Tellern anrichten. Die Austern müssen nicht heiß serviert werden, sollten aber mindestens lauwarm sein.
Was man dazu essen könnte:
Konjunktiv. Tatsächlich waren die Austern hier Menübestandteil und erforderten daher keine weitere Beilage. Vorstellen könnte ich mir aber ganz diffus etwas, das der üppigen Fülle der Sahne, der Mineralik der Austern und der Würze der Worcestersauce ein feine Süße entgegenzusetzen hätte. Also glasierte und leicht karamellisierte Lauchzwiebeln zum Beispiel. Oder helles Zwiebelconfit (in ungewürzter Version!) auf Toast. Oder einfach nur Toast. Oder noch mehr Austern.
Der Wein dazu:
Wo der Snob zur Auster Champagner tränke, der Liebhaber Muscadet, der Deutsche Riesling (recht hätte er!) und der Amerikaner Bier (aber der isst die Austern ja auch mit Tobasco. Was nicht schlecht sein muss!), trank ich hier und in diesem Fall einen hervorragenden 2014er Chardonnay vom Kalkmergel von Philipp Kuhn in Laumersheim in der Pfalz. Und nicht nur, weil ich den in meinem Reise-Weinsortiment dabei hatte. Unter den deutschen Chardonnays, die ich kenne, finde ich diesen Wein tatsächlich herausragend – seiner unvergleichlich intensiven Chardonnayfrucht wegen natürlich, andererseits aber auch aufgrund seiner durchaus präsenten, aber nicht unangenehm übertriebenen Fülle – wie groß der Anteil aus dem Holzfass ist, vermag ich aber leider nicht zu sagen. Freilich: Er ist nicht ganz so elegant wie mein übliches Burgunder-Substitut aus Baden, aber mit der durchaus vollen, würzigen Sahnesauce wurde er nicht nur ganz hervorragend fertig, ohne dabei mit den feinen, maritimen Noten der Austern in Konflikt zu geraten, sondern es war schlichtweg der perfekte Wein zu diesem trotz aller Finesse der Austern eher rustikalen und simplen Essen.