Erster Advent: Panettone.

Panettone

Kein Rezept ist dies, sondern eher ein Serviervorschlag. Wobei: Findet man Serviervorschläge nicht immer dort, wo Rezepte eigentlich gar nicht nötig sein sollen – also auf Dosen, Tüten und sonstigen Verpackungen, die außer heißem Wasser oft schon alles enthalten, das man essen soll? Und weiter: Sind Serviervorschläge nicht immer bildliche Darstellungen, wie so etwas aussehen könnte? Schließlich aber: weichen Sie nicht grundsätzlich von dem ab, das man mit Hilfe solcher Produkte fabrizieren können soll? Alle drei Vermutungen scheinen mir recht zutreffend, denn wann und wo hätte schon jemals ein aus einer Packung zubereitetes Essen so ausgesehen, wie es auf ebendieser Packung abgebildet war? Ich behaupte: niemals! Und erspare mir, hinzuzufügen, dass man eigentlich froh sein kann, dass bildliche Serviervorschläge nicht auch schon eine geschmackliche Vorschau auf den Inhalt der Packungen, die sie zieren, bieten können, denn für alle Hersteller von Tütenspeisen wäre es sicherlich das Ende ihrer bisherigen Existenz. Aber bevor es allzu sehr in eine Richtung geht, in der Grundsätze diskutiert werden (was manchmal notwendig, aber eigentlich immer rasend mühsam ist): Um Panettone soll es hier gehen, und um Panettone wird es also gehen.

Nun stellt sich natürlich die Frage: Warum Panettone, diesen üppigen, fluffigen Weihnachtskuchen aus Mailand, wo man in unseren Breiten doch auch so herrliche Dinge wie Dresdner Stollen oder Salzwedeler Baumkuchen haben kann? Die Dresdner mögen es mir verzeihen, aber der Stollen war das Weihnachtsgebäck durch viele meiner Kindheitsjahre, und es gab ihn in den verschiedensten Größen und Varianten. Und es gab ihn nicht nur im Advent und zu Weihnachten. Eine Stollenschwemme also, die mir damals ebensowenig zusagte wie Würste und Sauerkraut an Heilig Abend. Mit letzteren freilich konnte ich mich irgendwann anfreunden, der Stollen aber: Ach, lassen wir ihn in Frieden. Den echten Salzwedeler Baumkuchen indes würde ich jederzeit nehmen, und ich würde ihn in großer Menge nehmen, denn er ist wirklich eine fabelhafte Sache: Saftige, über dem Feuer gebackene Ringe mit feiner Glasur, locker, aber stabil, und von wirklich erstklassigem Geschmack. Aber wie gesagt: Ich würde gerne ziemlich viel davon haben, und genau das ist das Problem: Diese kleinen Ringe sind verdientermaßen ziemlich teuer. Und genau an dieser Stelle wird es schwierig, denn wenn ich mich entscheiden sollte, ob ich für eine bestimmte Menge Goldes ein Stück Kuchen oder eine anständige Scheibe Fleisch bekäme, würde meine Entscheidung leider immer die selbe sein.

Bleibt also nur der Panettone übrig. Und das übrigens keineswegs mit Bedauern, denn abgesehen von diesen kleinlichen, fast schon krämerseelenartigen Überlegungen, mag ich ihn tatsächlich ziemlich gerne: Dieser voluminös aufgegangene, lockere, süße Teig mit Rosinen und kandierten Früchten, der in Mailand wohl schon seit dem Mittelalter gebacken wird, und von dessen Erfindung man nur Ungenaues weiß: So hätten die Köche am Hofe von Ludivco il Moro eines Tages die Nachspeise verbrennen lassen, seien aber durch einen Küchenjungen namens Toni gerettet worden, der aus einigen Resten einen eigenen Kuchen gebacken hatte: L’pan del Toni, der schließlich zum Panettone wurde (wobei mir schon klar ist, dass il pane eher Brot ist. Aber wir sind hier schließlich im 15. Jahrhundert!). Oder jene andere Geschichte eines Mailänders Bäckers vom Hof der Visconti im 14. Jahrhundert, der seiner Angebeteten eine Überraschung bereiten wollte, und dem der Kuchen überraschenderweise völlig aus der Form ging. Dergleichen Geschichten gibt es noch einige, und sie sind alle auch ganz nett, aber vor allem dann interessant, wenn man nicht gerade eine Stück Panettone vor sich hat, das man essen kann.

Dieses Stück Panettone steht nun vor mir, und genau an dieser Stelle beginnt tatsächlich meine persönliche Variation des Servierens von Panettone; genauer, und das bringt uns an den Anfang zurück, mein Serviervorschlag. Statt den Panettone nämlich als Nachspeise oder am Nachmittag zu essen und dazu Süßwein oder ebenso heiße wie süße Sachen auszuschenken, bevorzuge ich den Panettone zum späten Frühstück am Sonntag, mit ein wenig bitterer Orangenmarmelade, die sich ganz herrlich zu den kandierten Noten der verbackenen Früchte gesellt, und ein paar Tassen schwarzem Tee mit Orangenschalenstücken und Kornblumenblüten. Falls man also mit allen drei Zutaten auch nur ein bisschen etwas anfangen kann, wird die Nachahmung unbedingt empfohlen, denn ihr gemeinsames Zusammenwirken ist einfach herrlich – ganz egal, wie finster der Sonntagmorgen ist, wie lange die Nacht war, und wovon man Abend vorher zu viel erwischt haben mag.

Panettone

Alles dabei: Panettone, Tawny-Orangenmarmelade und Lady Grey Tea. Und ein paar hübsche Blechdosen.

Und schließlich: Auch Panettone ist nicht gleich Panettone. Vom vollständig handgemachten wollen wir hier gar nicht sprechen, denn der ist nicht so einfach zu bekommen, wenn man nicht gerade regelmäßig in Mailand ist, und er nähert sich preislich auch durchaus schon den Regionen an, die schon als Ausschlusskriterium für den Salzwedeler Baumkuchen herangezogen wurden. Auf der gänzlich anderen Seite stehen jene eher kleinen, in Pappkuppeln verpackten Panettoni, die meist nur dann schön fluffig und zart sind, wenn man sie frisch anschneidet, mit zunehmendem Luftkontakt aber immer trockener werden und irgendwann nur noch an Früchtebrot erinnern. Mein Favorit ist Panettone, der in Blechdosen verpackt ist, denn dort hält er sich recht lange frisch, und man bekommt auch gleich noch wirklich hübsche Dosen dazu, in denen man nach Neujahr allerhand Kram verstecken kann, den man erst einmal nicht mehr braucht, oder die dann eine zweite Karriere als Keksdose im Gästezimmer verfolgen. Und seien wir ehrlich: Mehrwert ist doch immer eine wunderbare Sache! Vor allem dann, wenn das, worum es eigentlich geht, auch noch so herrlich schmeckt wie frisch angeschnittener Panettone!