Wer regelmäßig kocht und dazu noch eine gewisse Schwäche für kleinere und größere Vögel hat, kommt irgendwann um den Kauf einer Geflügelschere nicht herum. Denn schließlich gerät man tatsächlich irgendwann an Vögel, die so stabil gebaut sind, dass man sie auch mit dem schwersten Kochmesser nicht mehr zerlegt bekommt. Vor einiger Zeit begab ich mich daher auf die Suche nach einer Geflügelschere, und der Markt bot sich mir recht einfach strukturiert dar: Zunächst waren da die schweren Stücke aus geschmiedetem Stahl, hochglänzend poliert, gut in der Hand liegend und vor allem ungemein teuer. Wieso sollte ich den Gegenwert mehrerer guter Flaschen Weins ausgeben, nur um zwar regelmäßig, aber eben doch nicht täglich einen Vogel zerlegen zu können? Auf der anderen Seite gab es dann die schon offensichtlich auf den ersten Blick zerfallenden Stücke, die wohl auch an einer Wachtel gescheitert wären, und die teilweise sogar weniger kosteten als eine Flasche auch nur halbwegs anständigen Weins. So schien mir der Mittelweg der beste zu sein: ein solide wirkendes Erzeugnis zu einem Preis, der irgendwo zwischen den beiden schon genannten Kategorien lag, und somit eines, das sich in einem jener in deutschen Innenstädten gar nicht so seltenen Läden eines bekannten Metallwarenherstellers erwerben ließ. Und man schenkte mir sogar einen Silikonpinsel dazu – spätestens an dieser Stelle hätte ich misstrauisch werden sollen, freute mich aber stattdessen, einen so guten Fang gemacht zu haben.
Aber ach: Zwar überstand die Schere die ersten Maispoularden, Stubenküken, Perlhühner und sogar einen Fasan ohne Schwierigkeiten, biss sich an der ersten Ente, mit der sie konfrontiert wurde, aber leider schon die Zähne aus. Oder vielmehr: Sie erlitt einen kapitalen Kieferbruch, denn anstatt den Rücken der Ente zu zerteilen, zerlegte ebendieser eine der beiden Klingen, und zwar mit einem unschönen, unsauberen Bruch. Und was kam da zum Vorschein? Eben nicht die großartige Metall- und Verarbeitungsqualität, die man mir im Laden versprochen, und die das Ding mir auch einige Zeit lang vorgespielt hatte. Sondern ein offensichtlich grobporig gegossenes Stück schlechten Stahls, nur zurecht gestanzt und dann ein wenig geschliffen. Die Schleifspuren auf den Klingen hätten es eigentlich erahnen lassen können. Fazit: Gar nicht so wenig verlorenes Geld, eine halb zerlegte Ente, eine komplett zerlegte Geflügelschere und als Trost ein Silikonpinsel. Aber immerhin: Der hält bis heute.

Gut sichtbar: Ein grober, hässlicher Bruch und ziemlich schlechtes Material. Es ist ja nicht so, dass man es nicht hätte wissen können.
Und so kam es, dass ich erneut in den Markt für Geflügelscheren eintrat und mir diesmal sagte: Geld spielt keine Rolle! Ich kaufe nur noch ein Mal in meinem Leben eine Geflügelschere, daher muss mich diese Geflügelschere erstens für alles erlittene Leid entschädigen, und zweitens auch allen Enten, Fasanen, Kaupaunen, Gänsen und sonstigem Geflügel standhalten. Ein unzerstörbares Zauberschwert in Gestalt einer Geflügelschere sollte es sein, aus dem besten Stahl, geschmiedet über dem heißesten Feuer, scharf, stark und hart. So viel zur Idee.
Gefunden habe ich schließlich eine Geflügelschere aus der italienischen Schmiede Sanelli – letztlich kein Zufall, da bereits meine großen Kochmesser von dort stammen. Aber darum geht es eigentlich weniger, ich hätte gute Scheren auch anderswo finden können. Exemplarisch steht diese Schere aber dafür, wie man Gutes vom Schlechten unterscheiden kann: Eben kein gegossenes und dann gestanztes Metall, sondern zwei aus einem Stück Stahl geschmiedete Teile, rund, wo sie nicht scharf sein müssen, und besonders scharf und zupackend, wo es nötig ist. Glatt polierter, kalter, schwerer Stahl – sogar der kleine Haken, mit dem man die Schere im geschlossenen Zustand arretieren kann, scheint unter dem Schmiedehammer entstanden zu sein. Und das beste daran: Man kann das Teil in zwei Elemente zerlegen, so dass sich die Schere mühelos auch im Geschirrspüler reinigen lässt. Großartig! Absolut großartig!
Praktische Umsetzung. Oder worauf man achten sollte:
Tatsächlich ist der Preis immer ein erster guter Indikator. In der Regel passiert es selten, dass man als Kunde ein gutes Geschäft macht, wenn der Händler sagt, man würde mit diesem oder jenem Stück ein ebensolches machen. Denn das will er ja auch. Was beim Autokauf zu beachten ist, gilt also auch für Geflügelscheren: Ein Angebot, das zu gut ist, um wahr zu sein, hat in der Regel mindestens einen Haken. Dann kann natürlich die Marke ein Indikator sein. Hier hat es nicht funktioniert, als ich das nicht ganz billige Teil gekauft habe, und sehr gut, als es dann am Ende das sehr teure wurde. Wobei man dazu sagen muss: Der Anbieter der schlechteren Schere hat die deutlich stärkere Marke als jener der besseren. Außerdem: Ob man ein gutes Gefühl bei Preis und Leistung hat, oder von Anfang an eigentlich lieber das nächst teurere Teil wollte. Wenn man sich dazu überreden muss, billiger zu kaufen, sollte man sich am Ende nicht wundern. Und wenn man sich grundsätzlich nicht dazu überreden muss, billiger zu kaufen, sollte man sich erst recht nicht wundern. Und schließlich: Wie es um die Leistung bestellt ist, wenn man sie vom Preis löst. Also, ob es sich um ein Produkt handelt, mit dem man auch dann zufrieden wäre, wenn Geld keine Rolle spielte. Das ist, zugegeben, auf den ersten Blick vielleicht ein ziemlich snobistischer Ansatz. Da wir ihn hier aber nicht auf Automobile, Armbanduhren und dergleichen mehr anwenden wollen, sondern auf eine Geflügelschere (die hier stellvertretend für die gesamte Ausstattung des eigenen Haushalts stehen darf – an Investitionsgütern wohlgemerkt!), scheint es mir ein gangbarer Weg. Die Augen also geschlossen! Und nun stelle man sich vor, wie so eine Geflügelschere idealerweise gemacht sein müsse, um das zu können, was man ihr gerne abverlangen möchte. Die Augen wieder geöffnet – und da liegt sie, meine neu erworbene Schere aus geschmiedetem Stahl.
Am Ende muss ich natürlich zugegeben, dass es nicht unbedingt immer besonders einfach ist, Preis und Leistung voneinander zu abstrahieren – schon allein deshalb nicht, weil zunehmende Leistung in der Regel auch einen steigenden Preis bedeutet, und man damit automatisch irgendwann in Bereiche gerät, die die eigenen Möglichkeiten übersteigen. Man kann es aber trotzdem versuchen. Und man wird, versprochen, nicht schlecht damit fahren, wenngleich es vielleicht nicht unbedingt für jene von uns geeignet ist, die um des puren Vergnügens willen immer wieder neue Dinge kaufen. Denn tatsächlich kauft man, wenn man sich an diese Regel hält, nicht nur seltener, sondern in der Summe auch weniger. Aber man kann es auch so sehen (und mit zunehmendem Alter ist das gar nicht zu vernachlässigen): Je weniger Zeit man dafür aufwenden muss, Dinge zu kaufen, die man, wäre man es gleich vernünftig angegangen, gar nicht kaufen müsste, desto mehr Zeit bleibt dafür, das zu tun, das man eigentlich viel lieber tun würde. Und vor allem fehlt die Zeit genau dann nicht, wenn man sie am nötigsten braucht. Was im Falle einer gebratenen Ente über Gedeih und Verderb eines ganzen Abends entscheiden kann.