Ich habe oft den Eindruck, dass, wann immer man irgendwo Espresso trinkt, immer mindestens eine Person in der Nähe ist, die sich als Kenner der Materie erweist und die Qualität des Servierten anhand der Crema misst, also jenes kleinen, hellen Schaumhäubchens, das in der Tasse auf dem dunklen Kaffee schimmt und im Idealfall den Zucker ein paar Sekunden warten lässt, bevor er ins nicht allzu tiefe, schwarze Nichts versinkt. Und davon ausgehend kommt es mir oft so vor, als wären Vollautomaten und diese kleinen Kapselmschinen vor allem darauf abgestimmt, eine möglichst steife, dicke Crema zu produzieren; fast so, als wollte man den Kaffee nur stundenlang begutachten, ihn aber niemals trinken. Und dennoch handelt es sich nur um Schaum. Schaum, der zwar auf dem Melmac als Zahlungsmittel galt, aber sonst eben doch nur Schaum ist. Also ein wenig Flüssigkeit und viel Luft. Schaum, der ja, wenn man ihn einmal vom Kaffee abstrahiert, nicht unbedingt immer besonders geschätzt ist. Oder wer mag schon Schaumschläger, Ölschaum und dergleichen. Sogar Schaumabscheider gibt es, wenn man ihn möglichst schnell loswerden möchte (ob englisches Bier so behandelt wird?). Schaum also schließlich, mit dem man wenig anstellen kann, und der auch kaum als Geschmacksträger geeignet ist. Auch beim besten Willen (zu dem ich hier keinesfalls bereit bin) kann ihn mir hier nicht als Qualitätskriterium vorstellen. Und wo wir schon dabei sind: Neben der Crema hört man ja auch oft von 100 % Arabica und mindestens 15 bar Pumpendruck, wenn man es mit Espressobohnen und Espressomaschinen zu tun hat. Als wäre das das einzig Wahre! Wäre es das tatsächlich, dann müssten doch all die Bars und Restaurants, in denen man in Espresso bekommt, immer zuverlässig den besten überhaupt haben: Kaffeesorte stimmt, Druck stimmt, Schaum stimmt. Alles wunderbar quantifizierbar, die Zahlen stimmen, es bleibt kein Spielraum übrig, keine Fantasie, kein Gefühl. Ob das der Grund ist, warum man bei uns oft ein eher dünnes, säuerliches Zeug bekommt, anstatt anständigen Espresso?
Wobei natürlich die Frage wäre: Was ist denn anständiger Espresso? Denn Anständigkeit als Qualitätsprädikat ist ja so wirklich überhaupt nicht messbar. Was macht man also, wenn man nicht messen kann? Man sucht sich ein Vorbild. Meines heißt tazza d’oro und befindet sich am Pantheon in Rom. Der absolut unglaublichste Espresso, den ich je getrunken haben. Stark, schwer, ölig. Und nicht geeignet für Leute, die leicht Herzrasen bekommen. So wollte ich meinen auch haben. Und wurde natürlich weder mit der kleinen Bialetti-Kanne und ihren Derivaten (die von armen Studenten und verschrobenen Liebhabern immer noch geschätzt werden und auch mich mit manchmals duchaus akzeptablem Ergebnis durch’s Studium brachten) glücklich, noch mit jenen ungeheuer teuren Vollautomaten, die wirklich beeindruckende Sachen können. Manche schaffen es angeblich sogar, selbstständig den Kundendienst zu rufen. Und dann wären da ja noch die Kapselmaschinen mit ihrem ungeheuren Ausstoß an Aluminium- oder Kunststoffkapseln, die es immer wieder zuverlässig schaffen, eine wirklich beeindruckende Crema in die Tasse zu zaubern. Und, das gebe ich gerne zu: Die, wenn es schnell gehen muss, und man mit gerade akzeptablem Espresso immer noch besser dran ist als komplett ohne, durchaus ihre Berechtigung haben.
Essentielles:
Aber mit dem echten, komplexen, aromenreichen, kräftigen (und durchaus mit Schaum versehenen) Espresso hat dies alles nichts zu tun. Den bekommt man nur aus einer Siebträgermaschine. Einer mit Kessel, in der das Wasser langsam erhitzt wird. Einer mit massiv gebauter Brühgruppe (idealerweise der Faema E61). Einer mit Siebträger aus verchromtem Messing, der beim Aufheizen fast ebenso heiß wird wie das Wasser, das durch den Kaffee und das Sieb gepresst wird. Und eine Espressomühle braucht man natürlich, denn wie sollte man die Espressobohnen sonst ausreichend fein gemahlen bekommen? Und zwar feiner, als es jede normale Kaffeemühle jemals könnte. Eine Mühle, deren Mahlgrad so fein reguliert werden kann, dass man damit auch auf minimale Abweichungen von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Lagerzeit reagieren kann, die sich alle nicht unerheblich auf das Mahl- und Brühverhalten von Espresso auswirken. Freilich: So eine Maschine ist teuer in der Anschaffung, und eine Mühle ist es ebenfalls. Muss man sich zunächst zwischen beiden entscheiden, sollte man immer zuerst die Mühle nehmen. Denn gut gemahlener Kaffee aus einer einfachen Maschine kann immer noch ein akzeptables Ergebnis liefern. Bei schlecht gemahlenem Kaffee dagegen kann die Maschine noch so gut sein: Das Ergebnis wird fast immer enttäuschend sein. Und schließlich der Kaffee: Gerne wird ja auch die Sorte als Qualitätskriterium herangezogen. 100 % Arabica, heißt es da, seien der Garant für einen erstklassigen Espresso. Ich halte es da wie beim Weißwein: Süße und Säure müssen schon irgendwie zusammenpassen, denn Süße ohne Säure wird leicht flach und klebrig, und Säure ohne Süße ist, nun ja, recht sauer. Also keine Frage: Wenn die Bohnen die besten sind, die man bekommen kann, dann ist 100 % Arabica nicht schlecht. Ich für meinen Teil ziehe dagegen einen gewissen Anteil Robusta vor, der eine solide Basis bildet, für gute Struktur sorgt und nebenbei auch noch der Crema förderlich ist. Und davon ist dann auch wieder der Kenner beeindruckt.
Meine Favoriten:
Die Gaggia Classic ist meine Maschine. Ihr gestalterischer Charme der späten 1970er hat mich sofort verzaubert, als sich sie zum ersten Mal sah: Ihr dickwandiges, simpel in Form gepresstes Stahlgehäuse, die schweren Kippschalter mit den roten Leuchten, die Brühgruppe mit dem schweren Messingsiebträger (leider keine Faema E61, aber gut genug für mich), das Magnetventil, der Heißwasserbezug aus dem Wasserkessel (anstelle eines Durchlauferhitzers) und natürlich die Tatsache, dass man alle Teile ersetzen kann, sollten sie einmal das Zeitliche segnen. Was bisher nicht nötig war.
Die Eureka Mignon ist meine Mühle. Mit ihrem extrem genau einstellbarem Mahlwerk und dem gestalterischen Charme der frühen 1960er. Dass sie nicht wirklich rot lackiert, sondern mit Folie überzogen ist: geschenkt. Denn ganz gleich, wie kapriziös meine Espressobohnen auch auf Wetter und Lagerzeit reagieren: Mit dem kleinen Einstellrad lässt sie sich so fein regulieren, als handelte es sich nicht um eine Kaffeemühle, sondern um ein Uhrwerk.
Der Mokaflor 80/20 aus Florenz ist mein Kaffee. Mit der Raffinesse feinster Arabicabohnen, die auf einer soliden Basis aus kräftiger, strukturierender Robusta stehen. Ein wenig empfindlich ist er freilich, und reagiert auf Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Lagerzeit manchmal ein wenig gereizt. Was mit einer anständigen Mühle und ein wenig Übung und Geduld natürlich kein Problem ist. Was, fertig gemahlenen Kaffee verwenden? Auf keinen Fall, denn der ist in der Regel viel zu grob gemahlen, und bietet dem heißen Wasser bei 15 bar Pumpendruck (und auch bei den bei Spezialisten beliebten 9-10 bar) viel zu wenig Widerstand. Schneller, als man die Maschine wieder abstellen kann, hat man dann eine bräunlich-transparente Brühe in der Tasse. Von der Crema bräuchte man in diesem Fall gar nicht erst zu sprechen.
Worum es eigentlich geht:
Im übertragenen Sinne steht der Espresso hier aber noch für etwas anders: Zu hohe Erwartungen an zu geringe Vorleistung. Eine Degradierung des Komplexen zum eindimensional Bewertbaren (Crema!). Und den weit verbreiteten Glauben, man könne auf Knopfdruck und ohne Mühe, Können und Wissen etwas bekommen, das genau so gut ist wie das Produkt eines elaborierten, mehrstufigen, komplexen Prozessablaufes. Anzunehmen also, das Billige könne auch nur ansatzweise so gut wie das Aufwändige sein. Und sich dann zu wundern, dass man enttäuscht wird. Und dann die Schuld dafür nicht bei sich selbst zu suchen, nein, sondern beim Produkt und seinem Hersteller, der doch nur geliefert hat, wofür man allerhöchstens bezahlen wollte! Hier aber liegt der wesentliche Fehler (über den man sich bei Skandalen eigentlich aufregen sollte, und nicht über den vermeintlich betrügerischen Erzeuger, der sich rechtfertigt, der Verbraucher wolle es doch so.): Denn Qualität entsteht eben nicht durch Zufall und aus sich selbst, sondern ist immer und ohne Ausnahme das Ergebnis von Anstrengung, Mühe, Übung, Wissen, Hingabe, Erfahrung, Investition und Zeitaufwand. Und zwar ganz allgemein und sicherlich nicht nur beim Espresso.
Praktisches:
Zu guter Letzt sollte man es sprachlich nicht gleich übertreiben und vor allem keine zwei Espressi bestellen. Denn Espresso ist bereits Plural, da espresso ja nur die eigentliche Sache beschreibt: Den caffè espresso. Und caffè unterscheidet sich in Singular und Plural nicht voneinander. Wer also espressi sagt, wenn er mehr als einen bestellt, hat im Italienischunterricht nicht aufgepasst. Da ist ein ahnungsloses zwei Espressos doch noch deutlich unschuldiger, wenn nicht sogar sympathischer. Ganz abgesehen davon natürlich, dass man eh nie einen espresso bestellt, sondern immer einen caffè. Der Barmann fragt dann schon, wenn er Zweifel hat, ob es ein americano oder wirklich ein espresso sein soll. Und dann braucht man sich auch um die Crema keine Gedanken mehr zu machen.